30.03.2021
Thiersee / Tirol

Neuer Text für die Passion in Thiersee

Schriftsteller Toni Bernhart verrät erste Details

Fast anderthalb Jahre hat Schriftsteller Toni Bernhart an seiner Adaption der Passion gearbeitet. Vor Kurzem hat er die Textfassung fertig gestellt, die ab Sommer 2022 in Thiersee zu sehen sein wird. Der Stücktext seines Vorgängers Jakob Reimer – uraufgeführt 1923 – hat 99 Jahre lang gehalten.

Passionsspiele haben einen festen Platz in der europäischen Theatergeschichte. Zumeist geht ihnen ein Gelübde voraus: Ein ganzes Dorf gelobt die Leidensgeschichte Christi in regelmäßigen Abständen nachzuspielen, um eine Katastrophe – Kriege oder Krankheiten – abzuwenden. In Thiersee wird die Geschichte vom Leben und Sterben Christi seit über 200 Jahren erzählt. Im Passionsspieljahr 2022 soll eine Neuinszenierung den Leidensweg Jesu zeitgemäß zeigen. Der Südtiroler Schriftsteller Toni Bernhart hat eine Neufassung geschrieben, nachdem der alte Text von Jakob Reimer fast 100 Jahre lang gespielt wurde.

Eine Neufassung für die Neuinszenierung

„Auch Reimers Text war einmal ‚der Neue‘, der einen alten Text abgelöst hat. Jedes Stück ist mit der Zeit verhaftet, in der es geschrieben wird. Je mehr Zeit vergeht, umso mehr bekommt man das Gefühl, dass eine Geschichte aus der Zeit fällt“, ist sich der Autor sicher. Sein Theatertext ist die Grundlage für die Neuinszenierung der Passion, die eine Erwartungshaltung beim Publikum erfüllen soll. Auch wenn sich das Passionsspiel inhaltlich nicht verändert – die Geschichte wird seit Jahrhunderten nahezu unverändert wiedergegeben –, ändern sich doch die Ansprüche an Ästhetik sowie Art und Weise der Erzählung. „Jesus tritt als Erneuerer religiöser und sozialer Belange auf, er wird dafür gefeiert und auch angefeindet, am Ende wird er gekreuzigt, getötet und begraben. So genommen ist es eine traurige Geschichte“, erklärt der studierte Literaturwissenschaftler, der auch als freier Schriftsteller tätig ist. Toni Bernhart hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte bis zu einem guten Ende weiterzuerzählen: „Im großen Bogen nimmt das Christentum ein Happy End, das in der Auferstehung aller Menschen mündet und im Himmel endet. Es erzählt von Hoffnung und Rettung.“ Auch Jakob Reimer hat sein Passionsspiel so angelegt – auf die Kreuzigung folgen die Apokalypse und die Auferstehung.

Von vier Evangelien zu drei Christus-Darstellern

„Mehrere Generationen von Thierseerinnen und Thierseern haben mit Reimers Passionsspiel gelebt, es gespielt und auf der Bühne gesehen. Seine Fassung wurde zur vertrauten Selbstverständlichkeit“, weiß der zeitgenössische Autor. Regisseur Norbert Mladek hat ihn gebeten, eine Neufassung zu schreiben. „Damit die Passion von Anfang an als ein gemeinsamer Guss angelegt ist, stimme ich mich regelmäßig mit dem Komponisten Josef Pirchmoser, dem Regisseur Norbert Mladek, dem Obmann Johann Kröll und dem Vorstand des Passionsspielvereins ab“, beschreibt Toni Bernhart sein Vorgehen. Zentrale Quellen für die akribische Arbeit am Theatertext waren die vier kanonischen Evangelien, die die Leidensgeschichte Christi aus verschiedenen Perspektiven erzählen.

Zusätzlich hat sich Bernhart an Schriften orientiert, die nicht Eingang in die Bibel gefunden haben: „Aus den apokryphen Evangelien übernehme ich Ergänzungen, die ungewohnte und überraschende Sichtweisen auf das Leben Jesu eröffnen.“ Auch die Besetzung der Hauptrolle wird für das Publikum eine Überraschung sein. In Thiersee soll es gleich drei Christus-Darsteller geben, erklärt der Autor: „Ich beginne mit dem jungen Jesuskind, stelle das Leben und Wirken Jesu dar, dann seinen Tod, auf den Auferstehung und Himmelfahrt folgen. Jesus ist Kind, Jesus ist Mann und zuletzt ist er Auferstandener.“ In der Thierseer Passion hat traditionell auch der Teufel einen großen Auftritt: Hier sieht die Neufassung eine Doppelbesetzung mit zwei Schauspielern vor – als junger und als alter Teufel.

 Ein Happy End für Passion und Autor

Im Kirchenjahr hat die Passion einen festen Platz: In der Liturgie wird die Passion nach Matthäus, Markus und Lukas im Wechsel am Palmsonntag vorgetragen, das Evangelium nach Johannes wird am Karfreitag verlesen. Als Nachtrag zum Evangelium nach Johannes wird Jesus auch in der letzten Szene der Passionsspiele passenderweise am See erscheinen und übers Wasser gehen. „Das Besondere an Thiersee ist der See. Einen Hausberg, der Teil des Bühnenraums ist, hat auch Oberammergau. Ein eigenes Haus, in dem die Passion gespielt wird, hat auch Erl. Aber nirgendwo sonst gibt es einen See, der so eng mit dem Ort und seinem Passionsspiel verbunden ist“, hält Toni Bernhart das Alleinstellungsmerkmal der Passionsspiele in Thiersee fest.

Der Autor der neuen Passion liefert eine vielschichtige Textfassung, die viel Gestaltungsspielraum für den Regisseur und Deutungsspielraum für das Publikum lässt: „Das ist die Voraussetzung, dass der Text lange gespielt werden kann. Wer weiß, ob meine Fassung nicht auch hundert Jahre lang auf der Thierseer Passionsbühne bleibt, wie das alte Spiel von Jakob Reimer?“ Sollte dieser fromme Wunsch in Erfüllung gehen, bedeutet das ein Happy End nicht nur für die Figuren auf der Bühne, sondern auch für den Autor.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website www.passionsspiele-thiersee.at

 

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